Heute ist also der Wissenschaftstag der Geschlechterforschung, der Gender Studies. Ein Tag, um proaktiv, so liest man es allenthalben, in die mediale Debatte um und teilweise mit Vertreter_innen aus den Gender Studies einzugreifen. Nun, als Gender Studies betreibender Mensch gilt dieser Appell auch mir, wenngleich ich mir nicht einbilden mag, meine Gedanken hier würden dem Verb “eingreifen” gerecht werden, noch, dass ich hier etwas Neues produzieren würde. Aber dennoch:
Was sind Gender Studies? In meinem Verständnis sind Gender Studies ein äußerst heterogenes Feld verschiedener Forschungsbestrebungen und Theorietraditionen, denen kleinster gemeinsamer Nenner die Beschäftigung mit Geschlecht ist. Es gibt im deutschsprachigen Raum nur eine überschaubare Anzahl Professuren, deren Denomination Gender Studies auch nur in Kombination trägt (siehe beispielsweise die Datensammlung Geschlechterforschung des Margherita-von-Brentano-Zentrums). Allein in Deutschland sind das knapp über 150 Professuren, was einen verschwindend geringen Teil aller Professuren darstellt, und in den allermeisten Fällen sind diese an länger etablierten, traditionsreicheren Disziplinen zugeordnet, so dass eine Interdisziplinarität und auch eine, wie auch immer geartete, „anerkannte Nützlichkeit“ schon von Haus aus gegeben ist. Auch würde ich, von meiner bescheidenen Warte aus, die Gender Studies nicht disziplinär verorten wollen, da dies der Vielzahl an Forschungsprämisen,- methoden und -traditionen in dem Feld nicht gerecht werden würde. Ja, mit der Gründung der Fachgesellschaft Geschlechterstudien / Gender Studies Association (Gender e. V.) im Jahre 2010 ist vielleicht ein weiter Schritt in Richtung Disziplin- und akademischer Schulenbildung zu verzeichnen, dennoch denke ich, sind die Gender Studies in sich so unterschiedlich und selbstreflexiv wie selbstkritisch, dass eine Kanonisierung, das Menetekel einer jeder wissenschaftlichen Disziplin, birgt es doch die Gefahr der überwiegenden Selbstreferenzialität und unkritischen Haltung gegenüber der disziplineigenen Prämissen, Methoden und Theorien, sich nicht oder noch nicht anbahnt.
Soweit nichts Neues. Gender Studies sind ein vergleichsweise junges Feld der Wissenschaft, dass sich, auch das ist hinlänglich bekannt, aus der Tradition der Frauenforschung entwickelte, welche wiederum aus der Frauenbewegung entsprang. Dennoch ist Gender Studies keine politische, gar ideologische Wissenschaft, da Genderforschung als kritische wissenschaftliche Betätigung, dem Wissen verpflichtet bleibt. Sie betrachtet das Schaffen von Wissen, damit auch sich selbst, ebenso kritisch, wie sie Herrschaftsverhältnisse aufzeigt und kritisch beleuchtet. Das heißt nicht, dass alle Akteur_innen in den Gender Studies dies so sehen oder Wissenschaft so betreiben. Wie auch? Selbst von einer stark homogenisierten Wissenschaftsdisziplin wäre so etwas nicht zu erwarten. Doch im Feld der Gender Studies ist in wie kaum einem anderen mir bekannten wissenschaftlichen Feld es gute Praxis, alles, auch große Theoretiker_innen, ständig und unbarmherzig in Frage zu stellen, wissenschaftlich zu kritisieren und nicht unhinterfragt zu übernehmen.
Auch das ist alles nichts Verwunderliches an dieser Stelle. Doch es ist zentral für die wissenschaftliche Relevanz der Gender Studies und gleichzeitig ihrer Kritikwürdig- und Fähigkeit, unter der mein Post heute steht:
Denn seit mehreren Dekaden ist innerhalb der Gender Studies ein, teilweise erbitterter, kritischer wissenschaftlicher Diskurs um die Gefahr der theoretischen Homogenisierung von Geschlechterkategorien. Will heißen: Manche Ansätze riskieren, von „den Frauen“ und/oder „den Männern“ zu sprechen zu ermöglichen, ohne dies kritisch zu hinterfragen. Wohlweißlich, dass „die Frauen/Männer“ lediglich als Konstrukt existieren, als Feld von Deutungen, als Wolke von Zuschreibungen, die sowohl historisch wie sozial wandelbar und unterschiedlich sich erwiesen haben.
Denn auch wenn manchen Ansätzen innerhalb der Gender Studies dafür kritisieren kann, dass sie höchstgradig anknüpfungsfähig an neoliberale marktkapitalistische Konzepte und somit nicht kapitalismuskritisch sind und ebenso wenig umfassend machtkritisch an andere gesellschaftliche Machtverhältnisse außer Geschlecht, wie Klasse, ethnische Zugehörigkeit und Zuschreibung, wirtschaftliches und gesellschaftliches Kapital, herantreten, trifft dies nicht auf alle Ansätze zu. Genauso sind eben genau solche Ansätze in den Gender Studies ebenfalls zu finden, die beispielsweise Reproduktionswahlfreiheit mit ökonomischer Freiheit verknüpfen und kritisch betrachten.
All dies und noch viel mehr der Gender Studies beleuchtet unterschiedlichste gesellschaftlich – und notabene politisch – höchstrelevante Phänomene und Konzepte, beispielsweise Pflegearbeit, Reproduktionsmedizin, Familie, Arbeitslohn, Erwerbsarbeitsbeteiligung, Gleichberechtigung, sexuelle Selbstbestimmung, Bildungszugang und gesellschaftliche wie auch juristische Normen, Sprache, Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung usw. Dies geschieht in vielen Fällen, ganz in Adornos Tradition, wissenschaftlich kritisch, aufklärend und, mir persönlich als Forscher_in ebenso wichtig, empirisch begründet.
Warum gibt es nunmehr den Wissenschaftstag der Geschlechterforschung unter dem hashtag #4genderstudies? Weil in den vergangenen Jahren immer wieder Anfeindungen und Drohungen gegenüber Kolleg_innen in den Gender und Queer Studies anzutreffen sind, die jenseits jeglicher Diskussion und Kritik sowohl im Internet als auch in der traditionellen Presse und anderen Medien von Diffamierung bis zu Versuchen, Akteur_innen zum Schweigen zu bringen reichen und auch eine Abwertung und Obsoletserklärung post-essentialisitischer Sexualitäts- und Gender-Konzepte und allem, was damit in Verbindung steht, zeigen. Die anhaltenden polemischen und affektiv-politisch geführten Angriffe, unter Schlagworten wie „Gender-Ideologie“, „Gender-Wahn“ und „Gender Gaga“ etc., führen mitunter auch zu sehr realen Konsequenzen für Forscher_innen, Praktiker_innen, usw. Es zeigt sich daran eben, wie affektiv geführte politische Debatten um Deutungshoheit, was Geschlecht, was Familie, was Sexualität, was Arbeit, was gute Migrant_innen usw. seien, auf dem Feld und dem Rücken der Gender Studies ausgefochten und aus einer Politik herangetragen werden. Dabei geht es nicht per se um die Gender Studies, wie auch viele schon trefflich analysiert haben, sondern vielmehr um ein unkritisches Wissenschafts- und Weltverständnis, das eben durch die Spezifität der Gender Studies, der kritischen Betrachtung von Geschlecht als Ordnungskategorie, Herrschaftsverhältnis und vieles mehr, in Frage gestellt scheint oder gar wird. Wenn Gender Studies die Welt komplizierter machen, kämpft Anti-Genderismus gegen diese Infragestellung liebgewonnener, naturalisiert und de-historisierter Prämissen.
Denn die zentrale Erkenntnis der Gender Studies in meinen Augen ist es, und damit steht das Feld neben vielen anderen wissenschaftlichen, sei es der Physik, Informatik, Philosophie, Biologie, Mathematik uvm.: So einfach ist es nicht. Die Welt ist komplex, immer, alles, ständig. Die Welt scheint binär in Männer und Frauen geordnet, doch dies lässt sich theoretisch wie empirisch nicht aufrechterhalten. „Die Männer“ sind genauso wie „die Feministinnen“ kein unbeschränkt tragfähiges Konstrukt. Und nun möchte ich schließen und nochmals zurück kommen auf Politik. Ja, im Sinne einer feministischen, sprich Geschlechtergerechtigkeit, Frauen_rechte gewährleistenden, emanzipatorischen usw. usf. (an dieser Stelle möchte ich über ein Feminismusverständnis nicht wirklich schreiben, aus gegebenem Anlass), Politik, ist es manchmal klug, ja vielleicht sogar notwendig, von „den Frauen“ ohne Stern und Gap, oder „den Trans-Personen“, aber auch „den Prostituierten“ usw. zu sprechen, um Rechte einzufordern oder Unrecht zu beseitigen. Doch das ist nicht Gender Studies. Das ist und bleibt (feministische) Politik, politische Arbeit, Aktivismus. Diese kann, ja sollte vielleicht sogar, wenn man so weit gehen mag, sich auf Erkenntnisse aus dem Feld der Gender Studies stützen, beziehen etc. aber sie folgt nicht zwangsläufig daraus. Es gibt keinen Automatismus. Ebenso wenig, wie Gender Studies, wenn sie sich mit Fragen aus (feministischer) politischer Praxis, Arbeit, Aktivismus, beschäftigt, dies unkritisch oder gar dienstbar tut. Wissenschaft als, in Deutschland und vielen anderen Staaten, gesetzlich, gar verfassungsmäßig, frei, kann sich meines Erachtens nur in diesem Feld bewegen und sich kritisch und unabhängig mit Forschungsfragen, eigenen oder aus der Politik oder anderen gesellschaftlichen Bereichen erwachsenen, und gleichzeitig auch mit sich selbst, den eigenen Ansätzen, Theorien und Herangehensweisen beschäftigen.
Und ja, mir ist bewusst, dass die unabhängige Wissenschaft gerade im Lichte der Forschungsförderung durch Ministerien und Nationalfonds, ein anderes, schier bodenloses Fass aufmacht. Damit hätte ich also mindestens gleich zwei Themen für folgende Posts.